Supermax, Joker Brand und LA Originals [Netflix] – Die Estevan Oriol und Mister Cartoon Story!
Alles begann mit einem Trip nach Los Angeles. In den 90ern. Ich kann gerade nicht mehr genau sagen wann, aber es ist schon eine ganze Weile her. Mein Kumpel und ich haben damals als Fans kleiner Streetwear-Labels a la Stüssy und Union z.B. die Einkaufsstrassen dort nach Neuem durchforstet. Die La Brea Avenue z.B.
Denn im Vergleich zu heute hatte man damals keine Smartphones, kaum Internet oder gar die Möglichkeit, seine T-Shirts oder Hoodies in den USA zu bestellen. Marken wie Union, Stüssy und Tribal Gear kamen für uns (gefühlt) immer schon eher aus Los Angeles anstatt aus New York. Dort kannten wir in Downtown schon jeden Store und wussten natürlich, dass jedes Label auch an der Ostküste vertreten war. Aber in Los Angeles, so versprachen wir es uns jedenfalls, würden wir noch mehr cooles Zeug finden.
Die Streetwear-Stores sahen damals – sowohl in New York als auch in Los Angeles – eine lange Zeit fast überall in den USA gleich aus. Die T-Shirts und Hoodies hingen bis unter die Decke und wurden bei Interesse von Mitarbeitern mit langen Stäben herunter geangelt. Shops wie Yellow Rat Bastard in New York waren die besten und ersten Beispiele dafür, wie cooles Ambiente mit eben dieser Art zu verkaufen, kombiniert werden konnte. Das war in den frühen 2000er Jahren.
Zurück zu uns und nach Los Angeles.
An unserem zweiten Tag in L.A. landeten wir in einem Store, der Supermax hieß. Ich kannte die Bedeutung dieses Wortes nicht. Es gab eine Band die so hieß, ja. Nicht meine Musik. Außerdem feierten wir Kid Frost und seine Spielart von Rap, aber ehrlicherweise hatten wir uns noch nicht weiter damit auseinandergesetzt. Für uns klang dieser Name spannend. Gangster. Irgendwie gefährlich. Dass es sich hierbei um den Begriff “super-max(imum-security prison” handelte, der die sichersten Gefängnisse der USA beschrieb, das wusste ich damals noch nicht.
“Super Max Jail. A maximum-security prison or prison wing in which prisoners are kept in solitary confinement and under constant surveillance”
Der Supermax Store war cool. Dunkel gestrichen und mit einem riesigen Mural an der Wand. Dieses Graffiti (wohl von Mr. Cartoon) zeigte einen Chicano Gangster und seinen traditionellen Lifestyle. Lowrider, schöne Frauen, Musik etc. Ähnlich den Designs, die man auch auf den T-Shirts fand. Im Shop selber gab es – verglichen zu den Massen an Klamotten in anderen Läden – nur wenige Teile, die man kaufen konnte. Meist T-Shirts mit Murals auf dem Rücken und coolen “old english” – Logos auf der Brust. Ich fand das geil. So klassisch, so handgemacht, so ernst gemeint – und doch irgendwie Streetwear.
Der Typ im Laden machte kurz darauf Pause und war sehr interessiert an mir und meinem Kumpel, die wir weder in Ben Davis Workwear Shirts a la Snoop Dogg und Dr. Dre auftauchten, noch wussten wer Mr. Cartoon war. Aber wir kamen aus Deutschland und das fand er widerum spannend.
Er erzählte uns grob über Supermax, den Lifestyle der Chicanos und wie das Ganze mit dem Laden zusammenhing. Bester Tag in Los Angeles. Als er aufstand um seine Pause zu beenden empfahl er uns noch zwei Filme. “American Me” (in Deutschland: Gesetz der Gewalt, welcher zufällig am selben Abend im Fernsehen ausgestrahlt wurde) und “Blood In Blood Out“. Er meinte nur, dass wir danach whl keine Fragen mehr haben dürften, was das Leben der Chicanos angeht. Was die Kunst auf den T-Shirts anging, so empfahl er uns als weitere wichtige Marke “Joker Brand” und ihre Macher, Mister Cartoon und Estevan Oriol, abzuchecken.
Kurze Info: Supermax verschwand irgendwann und auch meine T-Shirts, welche ich später verschenkte, wurden alt. 2010 kam das Streetwear Label The Hundreds auf die Idee, die klassischen Designs dezent umzuarbeiten und daraus eine Kollektion zu machen. Daher stammen die Bilder in diesem Artikel, denn Originale findet man so gut wie nicht mehr. Es war halt die Ära vor dem Internet, von der wir hier reden.
“Estevan Oriol & Mister Cartoon – Chicano Da Vincis”
Joker Brand hingegen ist ebenfalls seit 30 Jahren aktiv und wurde von Mister Cartoon und Estevan Oriol in Los Angeles gegründet. Der eine war damals schon weltweit respektierter Tattoo-Künstler (Eminem, 50 Cent, Snoop Dogg, Justin Bieber) und der andere ein Fotograf, der mit seiner Analogfotografie Künstler und Momente einfing, wie kaum ein anderer in dieser Szene. Joker gehörte zu dieser Zeit schon zu den Marken, die extrem wichtig für die (Musik)-Kultur dort waren. Die Macher verstanden es, die Hip Hop Kultur, die immer mehr Raum einnahm und immer kommerzieller wurde, mit der traditionellen Kultur der Chicanos zu verknüpfen. Darum verwundert es auch nicht, dass Künstler wie Eminem, Snoop Dogg, Dr. Dre, Boo-Ya Tribe und so ziemlich jeder andere Westküsten-Artist, damals das Label trug. Selbst die Jungs von Crazy Town, zu denen auch der junge DJ AM gehörte, trugen die klassischen Joker Brand Hoodies und Shirts.
Ich fand die Designs super, erinnerten sie mich doch an Supermax und all das was ich auf meinem Trip nach Los Angeles an Neuem erfahren und erleben durfte. Ich bestellte meine Shirts von da an online. Denn auch wenn das coole Internet damals noch so gut wie nicht existent war, Joker Brand hatte bereits eine Webseite und man konnte seine Shirts rudimentär darüber bestellen. Was ich tat. Es gab daraufhin eine Zeit in meinem Leben, in der sah man mich in Joker Brand und Ben Davis – immer. Ein dicklicher Weißer im Outfit der Westküste. Dieses ließ sich so einfach mit den Sounds von N.W.A., ICE-T oder ice Cube verbinden. Im Grunde war das meine Rolle, so wie die Kids heute Künstlern wie Capital Bra oder irgendwelchen Influencern nachahmen bzw. bestimmte Modemarken tragen, um dazu zu gehören.
Später dann erfuhr ich, dass es einen deuropäischen Vertrieb von Joker Brand in Berlin gab. Ich lernte Timo kennen. Feiner Mensch mit toller Familie. Keine Ahnung, wie das damals alles kam. Ich weiß, dass wir uns z.B. auf Partys von Hikmet Sugoer (Solebox) getroffen haben und ich irgendwann für ihn das Blog des Labels aufgebaut bzw. redaktionell betreut und auch das eine oder andere Design gebaut habe. Wie genau wir uns kennengelernt haben, weiß ich nicht mehr. Das wir irgendwann zusammen in Los Angeles und Las Vegas waren, das weiß ich dafür noch umso besser. Ein cooler Trip, der ohne Timo und Joker Brand nicht stattgefunden hätte. Ich verdanke ihm sehr viel, bis heute irgendwie. In Los Angeles haben wir mit Mister Cartoon abgehangen, ihm beim Tätowieren zuschaut, Zeit in den Soul Assassins Studios verbracht und in den Büros von Joker Brand. Danach fuhren wir zur “Magic Trade Show” nach Las Vegas. Sieben Tage, die ich mein Leben lang nicht mehr vergessen werde – insbesondere nicht, weil ich in Downton Los Angels – kurz vor einer Wurstbude – Thomas Gottschalk uns seiner Frau Thea über die Füße gestolpert bin. Was für ein Trip! Besser konnte es nicht werden 😉
So! Und jetzt kommt der eigentlich wichtige Part dieses langen Textes. Irgendwann vor mindestens ganz vielen Jahren hat Timo mir ein Show Reel Video geschickt, welches die wichtigsten Arbeiten des Soul Assassins Studios in einem kurzen Clip zeigte. Dieses Video (siehe oben) war so gut geschnitten, voller cooler Szenen, wilder Musik, vieler bekannter Gesichter und großartiger Kunst. Ich habe es immer wieder und wieder angeschaut und oft verlinkt – wann immer es um Mister Cartoon oder Estevan Oriol ging.
Wenig zuvor drückte so gut aus, was die beiden taten und besonders gut konnten, das Verbinden von Tradition mit dem aktuellen Popkultur-Lifestyle – nicht nur bezogen auf die Westküste Los Angeles. Für Estavan und Toons gab es keine Scheuklappen. Hier wurde zwar die Tradition hochgehalten – aber immer auch ein Blick auf das geworfen, was gerade cool und spannend ist. Nicht umsonst ist Joker Brand bis heute am Start mit eigenem Online-Shop und fast unverändertem Team.
Heute morgen nun tauchte ein Trailer für eine Dokumentation in meiner Facebook-Timeline auf. Siehe unten. Netflix nimmt sich mit dem Format “LA Originals” der jahrzehnte langen Arbeit der beiden Künstler an.
Bei genauerem Hinsehen erkannte ich Estevan Oriol und Mister Cartoon und war begeistert. So begeistert, dass ich direkt mal zwei Din A4 Seiten zusammenschreiben musste – wie ihr seht. Ich fühlte mich wieder an meine Besuche in Los Angeles erinnert, an das Show Reel Video, welches ich oben eingebunden habe, und hatte so ein zufriedenes Gefühl in mir. So, als würde wichtigen Menschen etwas Gutes widerfahren, sie Respekt für etwas Großartiges bekommen. Keine Ahnung, wieso genau ich so fühlte. Denn sowohl Mister Cartoon als auch Estevan Oriol waren in den letzten Jahren mit veröffentlichten Büchern, Ausstellungen, Kooperationen (adidas, Stance, G-Shock, Medicom Toys z.B.) und erfolgreicher Arbeit immer wieder in den Medien und sicher nicht gelangweilt.
Am 10. April wird LA Originals nun auf Netflix zu sehen sein. Auch in Deutschland bzw. in Europa, soweit ich es herausfinden konnte. Ich freue mich sehr darauf. Mein 44 Jahre altes Ich freut sich genauso wie mein sehr viel jüngeres Ich von damals.
Wer sich mit dem (pop-)kulturell relevanenten Westküsten-Lifestyle auseinandnersetzen will und erfahren möchte, wieso die Rap Musik, die Modewelt und die HipHop Kultur zwei Jungs aus Los Angeles eine Menge zu verdanken hat, der sollte sich die Dokumentation auf jeden Fall einmal anschauen.
Hier noch einmal einige der klassischen Supermax-Designs, nachdem die Jungs von the Hundreds ein wenig daran herumgebastelt hatten. Oben im Text findet ihr zudem meine zwei großartige Styles von Joker Brand, die ihr aktuell dort im Shop auch noch kaufen könnt.
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[…] von HypesRus hat gestern einen Beitrag rausgehauen, der mich sehr begeistert hat. Nicht (nur), weil er in den […]
[…] der Netflix-Dokumentation „LA Originals„, über das Leben von Fotograf und Director Estevan Oriol und seinem Kumpel, dem weltweit […]